„Die ukrainischen Soldaten kämpfen auch für uns“

Tag 4 in Riwne, Westukraine: Ich hatte keine Nerven, während des 27-stündigen Sitzens im Flixbus zu schreiben. 11 Stunden standen wir allein an der Grenze von Ukraine nach Polen. Wobei die eigentlichen Kontrollen „nur“ 3 Stunden dauerten. Ansonsten warteten wir, weil einer oder beide Busfahrer keine gültige Ausreisegenehmigung besaßen … aber das ist eine andere Geschichte. Und ein Grund mehr, für das Ende des Krieges und die baldige Aufnahme der Ukraine in die EU zu sorgen …

Der Tag begann wieder um 3.25 Uhr mit Luftalarm. Diesmal in drei Phasen mit immer längeren Tönen. Obwohl die Sirene weit weg war und das Fenster Dreifachverglasung hatte, wird man zuverlässig wach. Da die Riwner ruhig blieben, Taxis und Busse weiterfuhren, blieb auch ich im Bett. Wo soll man auch hin? Ob und wo Geschosse hinfliegen, ist Lotterie. Unvorstellbar für mich, dass die Menschen in der Ukraine diese nächtliche psychische Belastung und das Nicht-durchschlafen-Können nun schon über ein Jahr ertragen …

Vor unserer Abfahrt aus Riwne haben Timo Heimlich und ich für den „Partnerschaftsverein Berlin Pankow – Riwne“ zusammen mit dem Riwner Bürgermeister Oleksandr Tretyak auf dem Maidan der Stadt von drei Gefallenen Abschied genommen. Dieses öffentliche Gedenken der Stadt und der Stadtgesellschaft fand für alle Gefallenen der Stadt statt, bevor die Beisetzung im Familien- und Freundeskreis erfolgt. Und jeder Familie hat der Bürgermeister persönlich die Todesnachricht überbracht. Bisher sind aus Riwne eine niedrige dreistellige Zahl gefallen und ca. 50 werden vermisst. Offiziell dürfen keine genauen Zahlen veröffentlicht werden.

Trauerfeier auf dem Maidan von Riwne
Uwe Lehmann legt Blumen nieder
Uwe Lehmann, Vorsitzender des Vereins Pankow-Riwne, mit Oleksandr Tretyak, Bürgermeister von Riwne
Trauerfeier
Uwe Kranzniederlegung
Uwe und Bürgermeister
previous arrow
next arrow

Von den 250.000 Einwohnern sind ca. 3.500 Männer und Frauen direkt im Kriegseinsatz. Damit soll Riwne prozentual mit an der Spitze stehen. Die drei toten Helden vom Sonntag sind in der Nähe von Bakhmut gefallen. Der jüngste wurde 19 Jahre alt. Das Leid der Mütter, Witwen und Kinder, sowie der Schulfreunde, Arbeitskollegen und Nachbarn war so nahe schwer zu ertragen.

Und die Soldaten, ob sie sich fragten, wer der Nächste ist? Beim Knien an den Särgen fühlte ich mich eins mit der Trauergemeinschaft. Bisher war es eine politische Überzeugung, dass die Ukrainer auch für meine Freiheit kämpfen. Jetzt habe ich ein Gefühl dafür, wie das ist, wenn da drei auch für mich gefallen sind.

Mit diesem traurigen Anlass endeten 4 Tage, die ansonsten unwahrscheinlich erfüllt waren. Nun beginnt in Berlin das Sortieren der Gedanken, Hinweise und Hilfegesuche und das Planen der ersten Projekte der Zusammenarbeit. Übrigens: Bei aller Dankbarkeit für Hilfe – von fast allen Gesprächspartnern haben wir gehört, dass sie Partnerschaft auf Augenhöhe wollen, dass sie auch geben wollen. Das ist ein gutes Fundament für partnerschaftliche Zusammenarbeit …